„Der Hagel klang wie ein Maschinengewehr“

05. September 2023 – Text: Selena Gruner
Entwurzelte Bäume, überflutete Keller, zerstörte Autos. Am Wochenende des 26. August fegte ein starkes Unwetter über den süddeutschen Raum. Augenzeugen berichten von bis zu acht Zentimeter großen Hagelkörnern, die Dächer und Fenster durchschlugen. Die Gemeinden Benediktbeuern und Bad Bayersoien sind von den Folgen besonders stark betroffen. Gemeinsam mit der Schadenreguliererin Lena Schäffler haben wir vier Betroffene besucht.

Aus dem Grill auf der Terrasse am Haus steigt hellgrauer Rauch auf, das Fleisch brutzelt. Dahinter breitet sich vor den Augen von Verena Facius und ihrer Familie die volle Pracht des Alpenvorlandes aus: grüne Wiesen, ein üppiger Garten mit Hortensiensträuchern und Blumenbeeten. Aus dem Augenwinkel sieht man das stattliche Kloster von Benediktbeuern. Verena Facius und ihr Mann ahnen nicht, dass in wenigen Minuten ein beispielloses Unwetter ihr Idyll ins Chaos stürzen wird.

Es ist Samstag, der 26. August, kurz nach 16 Uhr. Plötzlich brummt das Handy auf dem Tisch: Verena Facius bekommt per SMS eine Unwetterwarnung. Sie und ihr Mann diskutieren kurz, ob sie noch ein Auto in die Garage stellen sollen. Das Leasingauto der Firma oder das neue Cabrio? Sie winken ab, der dunkle Himmel sieht für sie nach einem kleinen Sommergewitter aus. Wie falsch diese Annahme war, weiß Familie Facius heute.

Hagel und Wind hinterließen Schäden an 80 Prozent der Häuser im Klosterdorf Benediktbeuern im bayerischen Voralpenland, mehr als 1000 Schadenfälle wurden aus der Region schon gemeldet (Stand 28. August 2023). Die Gesamtsumme dürfte im dreistelligen Millionenbereich liegen. Auch der Schaden an Haus und Hof von Familie Facius ist groß.

Blick auf Bad Bayersoien: Kaum ein Dach, das nicht mit einer Schutzfolie abgedeckt ist.
1. Die stillgelegte Gärtnerei von Familie Facius wurde durch den Hagel komplett zerstört.  2. Das Wohnhaus von Familie Facius – als provisorisches Dach dient aktuell eine Folie. 3. Stefan Schmitt und Herr Facius im Badezimmer der Familie bei der Decken-Begutachtung. 4. Blick auf ein Zimmer im vermieteten Haus der Familie Facius. Die Fensterscheiben sind zersprungen. 5. In einem Container vor dem Haus der Familie Facius werden die heruntergefallenen Dachziegel gesammelt. 6. Viele Autos in Bad Bayersoien sind durch zerstörte Scheiben nicht mehr verkehrstauglich.

Die Hausbesitzerin hat Tränen in den Augen, die Verzweiflung ist groß

Auf ihrem großen Grundstück stehen drei Wohnhäuser. Zwei Gebäude aus dem 20. Jahrhundert werden vermietet, das denkmalgeschützte aus dem Jahr 1640 bewohnt Verena Facius mit ihrem Mann und ihren zwei kleinen Kindern. Das Haus sei schon immer im Besitz ihrer Familie gewesen, ursprünglich war es der Schweinestall vom Kloster in Benediktbeuern. Alle Dächer ihres Anwesens wurden an diesem Tag zerstört. „Als es klirrte, dachte ich, na gut, es wird ein, zwei Fenster zersplittert haben“, erinnert sich Florian Facius. „Erst als ich rauslief und sah, dass das Dach weg war, wurde mir bewusst, was hier gerade passiert ist.“ Noch in der Nacht des Unwetters haben die Facius’ Siloplanen von Bekannten organisiert und aufs Dach gelegt, um irgendwie den Regen abzuhalten. Mit mäßigem Erfolg.

„In 400 Jahren hat es so was nicht gegeben“, erzählt die Hausbesitzerin mit Tränen in den Augen. Im Jahr 2020 sanierten die Facius’ das Haus von Grund auf. „Wir sind eine Handwerkerfamilie“, erklärt sie. „Wir haben jedes Kabel, jede Leiste, jede Fliese selbst verlegt.“ Ihre Verzweiflung ist greifbar. Doch jetzt gilt es, die Schäden zu beheben und den Wiederaufbau anzugehen.

Dienstag, 29. August, drei Tage nach dem Unwetter. Um 7.45 Uhr fährt Lena Schäffler auf den Klosterparkplatz, der neben dem Haus von Familie Facius liegt. Sie hat eine dunkle Regenjacke an, feste Schuhe, auf ihrer Bluse das Allianz Logo. Die Betroffenen erwarten ihren Besuch bereits.

Auch das Rathaus von Bad Bayersoien hat es schwer erwischt.

„Massenschäden wie diese beschäftigen uns die nächsten vier bis sechs Wochen“

Schock, Sorgen, Verzweiflung. Was für die Familien in Benediktbeuern eine Ausnahmesituation darstellt, ist für Lena Schäffler Arbeitsalltag. „Massenschäden wie diese beschäftigen uns die nächsten vier bis sechs Wochen“, erklärt die studierte Kunsthistorikerin. Dafür wird ein Krisenzentrum eingerichtet, Kolleg:innen aus ganz Deutschland kommen für diese erste Phase nach Oberbayern. Bis zu 15 Schäden besichtigen die Allianz Mitarbeiter:innen pro Tag, nach und nach wird die Schadensumme erkennbar. In dieser Phase ist die Schadenreguliererin die vielleicht wichtigste Ansprechpartnerin für die Kundinnen und Kunden. Sie sorgt dafür, dass das Versicherungsgeld in der richtigen Höhe an die Betroffenen überwiesen wird, damit diese Handwerker und Material bezahlen können. „Ich bin aber auch da, um die Leute zu beruhigen, zu begleiten und um zu zeigen, dass auch hinter einem großen Schiff wie der Allianz Personen stehen, die helfen und unterstützen.“

Bei der Fahrt durch die Ortschaft in ein Neubaugebiet erkennt die Schadenreguliererin das ganze Ausmaß der Katastrophe: kaum ein Haus, auf dem Dachziegel nicht beschädigt sind. Dominikus Eckhart wohnt seit Dezember 2021 mit seiner Familie in einem der Einfamilienhäuser. Das Unwetter hat sein Dach in Mitleidenschaft gezogen, auch einige Fenster gingen zu Bruch. Als er den schwarzen Himmel am Samstagnachmittag sah, sprang er in sein Auto, um es geschützter zu parken. Das Gewitter war schneller.

„Ich saß zusammengekauert hinter dem Lenkrad, die Windschutzscheibe zersplitterte und bog sich durch das Gewicht der Hagelkörner immer weiter durch“, erzählt Dominikus Eckhart. Seine Hand zittert, als er auf den Wagen zeigt, der heute von einer grauen Plane verdeckt wird: „Ein Totalschaden, alle Fenster sind zersprungen.“ Einer der Glassplitter landete in seinem Auge, der Bluterguss ist noch immer deutlich zu sehen. Lena Schäffler hört zu, notiert, tröstet – und muss dann schon wieder weiter. Der nächste Kunde wartet bereits.

1. Verena Facius und ihr Ehemann Florian sind schwer von dem Unwetter betroffen. 2. Das Dach des Müllhauses von Dominikus Eckhart ist mit Einschlaglöchern übersäht. 3. Überall in Benediktbeuern sind Autoscheiben, Dächer und Fenster zerstört. 4. Notizen zu Schäden am Haus von Dominikus Eckhart. 5. Dominik Eckhart wurde durch eine zersplitternde Autoscheibe verletzt, als er sein Auto in Sicherheit bringen wollte. 6. Die Feuerwehr war die letzten Tage in Benediktbeuern im Dauereinsatz.

Rollos runter, um Schlimmeres zu verhindern

Steinmetz Jürgen Schöller wohnt am südlichen Ende des Ortes. In der rechten Haushälfte befindet sich sein Atelier, links wohnt er mit Frau und Sohn. „Wir haben Glück gehabt“, erklärt er. Doch die Scheiben des Familienautos sind zerbrochen, der komplette Wagen ist übersät von kraterartigen Dellen. Fahren kann man damit nicht mehr. Für Schöller ein Problem. „Ohne das Auto bin ich aufgeschmissen, ich kann keine Materialien besorgen.“ Auch in seiner Stimme liegt Verzweiflung.

Lena Schäffler begutachtet den Schaden im Wohnhaus. Die Alurollläden an den Fenstern haben schlimme Schäden verhindert, die Fenster blieben intakt. „Meine Frau hat zum Glück direkt geschaltet und die Rollos runtergelassen“, erzählt der Steinmetz. Noch immer lebt Familie Schöller ohne Strom, die Rollos sind auch drei Tage nach dem Sturm unten. Als Lena Schäffler vorschlägt, sie hochzuziehen, blitzt Panik in den Augen von Jürgen Schöllers Frau auf. „Das trau’ ich mich nicht“, wehrt sie schnell ab.

Nicht nur Benediktbeuern ist betroffen. Circa 40 Kilometer weiter westlich liegt das einst malerische Dorf Bad Bayersoien. Auf dem Weg dorthin blickt man von der Schnellstraße von oben auf den Ort. Drei Tage nach dem Unwetter sind fast alle Dächer mit Planen abgedeckt, an beinahe jedem Haus steht ein Gerüst. Hier wurde der Katastrophenfall ausgerufen. Das Technische Hilfswerk und unzählige Feuerwehrautos sind bereits da.

1. Dieser Baum konnte dem Unwetter nicht stand halten und stürzte auf ein Haus. 2. Jürgen Schöller, Lena Schäffler und Stefan Schmitt (v.l.n.r.) bei der Schadenbegutachtung. 3. Das Auto von Jürgen Schöller hat es schlimm erwischt. 4. Die Fenster des Steinmetz-Ateliers von Jürgen Schöller sind zersprungen. 5. Allianz-Kunde Jürgen Schöller und seine Frau leben seit dem Unwetter ohne Strom. 6. Lena Schäffler und der Gutachter Stefan Schmitt von Thees und Partner.

Großschäden in der Landwirtschaft: tödlich getroffene Tiere, zerstörte Maisfelder

Besonders schlimm hat es Jakob Sanner erwischt. Gemeinsam mit seiner Frau leitet er einen landwirtschaftlichen Betrieb in Benediktbeuern. „Der Hagel klang wie ein Maschinengewehr“, erzählt er. Er zerstörte die Dächer der Wohnhäuser, aber auch die der Silos und Ställe. „Dort wird die Ernte getrocknet. Die müssen wir komplett wegschmeißen“, erklärt Jakob Sanner verzweifelt. „Ein, zwei Tage danach hätte man sie noch trocknen können. Drei Tage im Regen schafft das Futter nicht.“ Einige seiner Tiere wurden von den übergroßen Hagelbällen tödlich getroffen. Wie er die übrigen im Winter füttern soll, weiß er noch nicht. 

„Wenn solche Hagelereignisse auf beinahe erntereife Kulturen treffen, zum Beispiel jetzt den Mais, ist der Feldertrag dadurch komplett vernichtet – das sind dann Totalschäden im Pflanzenbereich“, sagt Maximilian Niederberger-Kern. Der Allianz Agrar Experte erzählt, dass zu dem Unwetterereignis bayernweit ca. 500 Schäden gemeldet wurden. Hinzu kommen weitere Schäden entlang der Alpenkette. „Es ist ohnehin Hauptsaison für Unwettermeldungen bei landwirtschaftlichen Betrieben, aber in diesem Sommer haben wir nach der extremen Trockenperiode eine durchweg sehr volatile Wetterlage mit überproportional vielen Extremwetterereignissen. Insgesamt ist der Klimawandel am Werk.“ Die Extremwetterereignisse bedrohen die Existenz vieler Landwirt:innen. So wie die von Jakob Sanner. „Wir müssen wohl damit leben, dass so etwas jetzt häufiger kommt“, sagt er. Für ihn heißt es jetzt aufräumen – und dann weitermachen. Zum Glück muss er das nicht allein: Außer Lena Schäffler von der Allianz sind noch unzählige Helfer und Helferinnen in den Krisenorten zusammengekommen, um beim Abdecken und Aufräumen mit anzupacken. Dachziegel werden verschenkt, Dachdecker und Handwerker arbeiten zum Teil in 48-Stunden-Schichten. Ohne diese Unterstützung würde der Wiederaufbau schwer werden.

 
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Bildquellen

Fotos: Simon Koy